Aus tagesschau.de:
Herr Carsten Linnemann: "Um es auf den Punkt zu bringen: Ein Kind, das kaum Deutsch spricht und versteht, hat auf einer Grundschule noch nichts zu suchen." ...
'Linnemann schlägt also vor, Kinder sollten die Grundschule erst besuchen, wenn sie bereits über ausreichende Deutschkenntnisse verfügten. Hier könne beispielsweise eine "Vorschulpflicht greifen", sagte Linnemann. "Notfalls muss seine Einschulung auch zurückgestellt werden." Solche Maßnahmen kosteten zwar "Geld, aber fehlende Integration und unzureichende Bildung sind am Ende viel teurer".'
(Zitatende)

Gut, Herr Linnemann schlägt eine Vorschulpflicht vor, also eine Art Förderschule vor der Grundschule - kein schlechter Gedanke. Mit seiner letzten Aussage im obigen Zitat trifft er den Kern eines existierenden Problems. Aber ...
Wie weit soll diese Vorschulpflicht zurückreichen in das Lebensalter der Kinder? Was hier vorgeschlagen wird, sieht stark nach einer Vorselektion aus. Die Selektion des mehrgliedrigen Schulsystems weiter nach vorne ausdehnen. Die Kinder sollen für die Schule angepasst werden statt die Schule den Kindern anzupassen. An der Ellenbogengesellschaft wird auf diese Weise nicht gerüttelt.

Die übliche Schulpolitik der CDU basiert seit langem - vielleicht schon immer - auf der Selektion von jungen Menschen. Solche Selektion auch auf noch nicht eingeschulte Kinder auszudehnen, ist entsprechend folgerichtig. Mit solchen Selektionen braucht man sich weniger um die Förderung der Kinder zu kümmern, nicht nur solcher mit "Migrationshintergrund", sondern generell aller in Deutschland lebender Kinder. Dieses Kümmern ist CDU-traditionell in besonderem Maße der Familie zu überlassen. So lassen sich zugleich öffentliche finanzielle Mittel einsparen, welche wichtigeren Ressorts zugeführt werden können, bspw. der Landesverteidigung und der steuerlichen Entlastung besonders wohlhabender Bürger.

Das, was Herr Linnemann hier aussagt, passt also sehr gut in die übliche CDU Politik. Allerdings sollte man das nicht so sagen, weil dies verräterisch sein könnte und das seriöse Image der "christlichen" Parteien beschädigen könnte. Zu spät. Nun flicken andere an diesem Image, um es wieder etwas aufzupolieren. In der Alltagsumgebung spricht man im Zusammenhang mit solchen eigenverräterischen Reden von einem "Freudschen Versprecher". Mir sind solche "Versprecher" sehr willkommen, weil sie gelegentlich einen kurzen, wenn auch unscharfen, Blick auf den gedanklichen Hintergrund des Aussagenden zulassen.

Nun ist international seit langem bekannt, dass das deutsche Bildungssystem außerordentlich selektiv ist und Kinder aus wirtschaftlich, kulturell schwächerer Herkunft deutlich benachteiligt. Diese Benachteiligung ergibt sich zwangsläufig aus dem hierzulande noch immer stark vertretenen Selektionsverfahren, welches sehr wirtschaftlich ist. Die "christlichen" Parteien sind bekannt für ihr besonderes Augenmerk auf Wirtschaftlichkeit, welche allerdings hauptsächlich die unteren Einkommensgruppen belastet. Bemühungen, das deutsche Bildungssystem so zu verbessern, dass die Bildung, auch selbstverständlich die berufliche Bildung, weitgehend flächendeckend ansteigt, ist halt unwirtschaftlich. Da nützt es auch nichts, dass Frau Merkel gelegentlich von der "Bildungsrepublik" sprach. Mehr als ein Schlagwort kann ich dahinter kaum erkennen. In diesem Zusammenhang danke ich Herrn Linnemann für die (vermutlich unbeabsichtigte) Offenlegung solcher potemkinschen Dörfer (überwiegend Fassaden).

Fazit:
Herr Linnemann deutet auf Probleme hin, die im ersten Abschnitt unseres Schulsystems vorliegen. Das ist zunächst gut und richtig. Das Werkzeug "Vorselektion für die weiter selektierende Grundschule" ist allerdings, nicht nur aus pädagogischer Sicht, zumindest bedenklich. Hier wäre ein Paradigmenwechsel, insbesondere seitens der "christlichen" Schulpolitik, wünschenswert. Man passe nicht die Menschen der menschengemachten Umgebung an sondern diese Umgebung den Menschen - und zwar möglichst vieler Menschen. Dazu gehört konsequenterweise auch die Entlohnung der Menschen.

Sarkasmus:
Ich empfehle eine Vorschulpflicht für alle Kinder, die bereits früh ihre (metaphorischen) Ellenbogen einsetzen. Darin könnten solche Kinder vielleicht (temporär) lernen, wie Zusammenarbeit gelingen kann. Viel Nachhaltigkeit erwarte ich davon allerdings nicht, weil deren soziale Umgebung höchstwahrscheinlich deutlich gegen ein solches Ziel wirkt, solange es keine individuellen Vorteile bringt. Diese Vorschulpflicht kann leider nur sehr schleppend eingeführt werden, weil hierfür noch kaum qualifiziertes Schulpersonal existiert. Ein langer Weg ... ;-P

Zusatzanmerkung außerhalb dieses Anlasses:
Ich habe keine Einwände gegen die Stärkung der Landesverteidigung (s.o.). Allerdings sehe ich absolut nicht, wo im Ausland, insbesondere nicht am Hindukusch oder in der Meeresstraße von Hormus, unser Land zu verteidigen wäre. Dort werden/würden ausschließlich die Ausbeutungsinteressen der USA oder anderer Möchtegernimperien "verteidigt". Und selbstverständlich auch die Interessen der Waffenindustrie. Solche Politik zeigt, dass wir Menschen, insbesondere die Machthabenden unter uns, in der menschlichen (philosophischen) Evolution stehengeblieben sind. Wenige Ausnahmen machen diesen Stillstand nicht wett.